Andreas Ronig Topthema

Folgt der Sandale!

Sandale
Irgendwas mache ich offensichtlich falsch…
Da komme ich heute Abend nach Hause und stelle fest, dass ich meine Zeit heute mit Dingen verschwendet habe, mit denen man in dieser Partei offensichtlich keinen Blumentopf gewinnen kann.

Für die Kommunalwahl hat sich ein interessierter Mensch als Direktkandidat – aber auch für weitere Mitarbeit – angeboten, der kein Mitglied ist und bisher auch noch nicht für die Piraten aktiv war. Als Projektionsfläche für alle möglichen (und unmöglichen) politischen Weltbilder haben wir da ja in unseren Boomzeiten einige schlechte Erfahrungen gemacht und dementsprechend wurde er bei der Aufstellungsversammlung intensiv gegrillt. Aus dem selben Grund hatte ich mich vorher intensiv mit ihm unterhalten und nach gewissenhafter Prüfung seiner Vorstellung, für was die Piraten nach seinem Verständnis stehen, hatte ich ihn ermutigt für uns zu kandidieren.
Heute kam er noch einmal vorbei und war- angesichts der kritischen Nachfragen in der AV – ein wenig verunsichert, inwieweit seine Kandidatur tatsächlich auch von den anderen Anwesenden Piraten akzeptiert wurde.
Darüber entsponn sich ein langes Gespräch, in dessen Verlauf ich ihm erklärte, dass die Piraten sicherlich nicht für politische Beliebigkeit stehen und es ein gewisses Wertesystem gibt, das weitestgehend allen gemein ist. Zu diesem gehöre aber ausdrücklich die Akzeptanz der Vielfalt als Grundlage der Meinungsbildung. Insofern könne er im Rahmen der grundsätzlichen Übereinstimmungen, die wir zuvor abgesteckt hatten durchaus auch für individuelle Ansichten eintreten, ohne mit den Zielen der Partei in Konflikt zu geraten. Weiterhin schwärmte ich ihm davon vor, dass es einer der piratigen Grundideen sei, dass jeder konstuktive Beitrag und jede Beteiligung am politischen Diskurs wertvoll sei und keinesfalls schaden könne, da nach unserem Politikverständnis niemand per se die Deutungshoheit habe, bevor am Ende die demokratische Beschlussfassung stehe. Ich habe dies aus einer tief verwurzelten Überzeugung vorgetragen, da tatsächlich dies das Bild war, dass ich bei meinem Eintritt hatte. Die Parteitage waren noch bunt, chaotisch und voll von den gegensätzlichsten Menschen und Ideen, die die Vorstellung einte, dass – wenn man alle Ideen sammelt, ausdiskutiert und offen in Betracht zieht – bei breiter Beteiligung die bestmögliche Lösung hervorbringt. Zumindest aber würde dadurch, dass man jede Meinung gleichberechtigt anhört und ernst nimmt, am Ende eine größere Akzeptanz für den erzielten Beschluss erzielt werden.
Dies war nach meinem Verständnis – bei aller Unteschiedlichkeit – die Klammer, die Punks, Alternative, Anzugträger, Queers und was auch immer sich da zusammengefunden hatte vereinte. Das war der Magnet, der alle von der real existierenden Demokratie Enttäuschten magisch anzog. Das war die “ideologiefreie Ideologie”. die mich bis heute motiviert, mich für diese Partei zu engagieren!

Und dieser Vortrag, den ich mit Herzblut gehalten hatte, hat ihn überzeugt und – so mein Gefühl – motiviert, sich weiterhin für uns zu engagieren. Und auch ich selber war – nachdem ich diesen ursprünglichen piratigen Geist heraufbeschworen hatte – richtig motiviert um mich meiner zweiten Aufgabe am heutigen Tag zu widmen:

Neben dieser Metaebene gibt es da ja noch die ganz profane konkrete politische Arbeit – das eigentliche Alltagsgeschäft. Ich hatte noch einen Termin, wo ich als Vertreter des Jugendamts-Elternbeirat zu der Abschlussveranstaltung des Projektes “Bildungs- und Erziehungspartnerschaften mit Eltern” vom Bildungsbüro der Stadt Oberhausen eingeladen war. Es ging im Kern um Elternbeteiligung in Kindertageseinrichtungen und Schulen. Im Grunde genommen somit unser Kernthema “Bürgerbeteiligung” im Bildungsbereich. Auch hier setzt sich in der Realpolitik langsam die Erkenntnis durch, dass es ohne angemessene Einbeziehung der Basis – sprich: der Eltern – nicht mehr geht. Auch hier war einer der grundsätzlichen Erkenntnisse: Man muss die Vielfalt der Lebensentwürfe und -realitäten anerkennen, akzeptieren und ihnen angemessenen Raum lassen. Doch wenn man diese nicht ernst nimmt und je mehr man versucht die eigenen pädagogischen Überzeugungen aufzuzwingen, wird man auf umso erbitterteren Widerstand stoßen und dort im Konsensziel einer bestmöglichen Bildung für alle Kinder scheitern. Auch wenn diese Erkenntnis inzwischen von allen prinzipiell anerkannt wird, ist sie noch nicht von allen verinnerlicht worden. Hier besteht noch viel Diskussions- und Überzeugungsbedarf.
Das sind nach meinem Verständniss die Aufgaben, denen wir uns in allen Politikbereichen als Piraten stellen müssen! Überzeugungsarbeit für offenen Diskurs, für Anerkennung der Vielfalt und dafür, dass man niemanden auf der Strecke lassen darf, aus Bequemlichkeit, Intoleranz oder Starrköpfigkeit!

Und dann komme ich nach Hause und stelle fest,
…dass man sich lieber endlich auf eine verbindliche Definition der poltischen Himmelsrichtung festlegen möchte.
…dass man bestimmte Meinungen am liebsten doch bereits im Diskurs ausschließen möchte.
…dass man billigend in Kauf nimmt, dass Menschen, die sich für uns engagiert haben dabei auf der Strecke bleiben.

Aber wisst ihr was? Ihr könnt mich mal! Ich habe nichts falsch gemacht und ich habe meine Zeit auch nicht verschwendet!
Und ich werde auch weiterhin mein Verständnis davon, was piratig ist vertreten, auch wenn ich irgendwann der letzte Pirat bin. Wir wollen mal sehen, wer am Ende alleine da steht und immer noch ruft “Folgt der Sandale/Flasche/was auch immer!”. :-b